“Vater beschütze mich
vor dem Aufwärtsflug! Mein Flügel ist
leicht für den Wind” — Ein Spotlight

Occupied News
3 min readSep 30, 2020

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Am 30.09.2000 — 2 Tage nach Beginn der 2. Intifada — ermordeten in Gaza israelische Scharfschützen den 12-jährigen Mohammad Al Durrah. Sein Vater Jamal versuchte verzweifelt, den kleinen Körper seines Sohnes mit seinem eigenen vor dem Kugelhagel zu schützen. Eine Kamera des französischen Nachrichtensenders France 2 hielt das Verbrechen fest & zeigte es der ganzen Welt:

„Ich war nicht weit weg von ihnen [Vater & Sohn], vielleicht etwa 15, 17m. Der Vater schaffte es nicht, den Krankenwagen, der in der Nähe war, zu holen, indem er ihnen zuwinkte. Er sah mich an & flehte: “Helfen Sie mir.” Ich sagte: “Ich kann nicht, ich kann Ihnen nicht helfen.” Die Schießerei bis dahin war wirklich heftig … Es regnete wirklich Kugeln, mehr als 45 Minuten lang.
Dann … höre ich etwas: “Bumm!” mit wirklich viel Staub. Ich schaute den Jungen an, ich filmte den Jungen, wie er auf dem Schoß des Vaters lag, & der Vater wurde wirklich, wirklich verletzt, & ihm war wirklich schwindelig. Ich sagte: “Oh mein Gott, der Junge wurde getötet, der Junge wurde getötet”, ich schrie, ich verlor den Verstand. Während ich drehte, wurde der Junge getötet … Ich hatte große Angst, ich war sehr aufgeregt, ich weinte & ich erinnerte mich an meine Kinder … Das war das Schrecklichste, was mir als Journalist je passiert ist.“ — Talal Abu Rahma

Talal Abu Rahma, der Kameramann, der während der Zweiten Intifada Videos für France 2 drehte [Foto mit freundlicher Genehmigung von Talal Abu Rahma, via Al Jazeera]

Allein während der ersten 3 Tage der 2. Intifada feuerte die israelische Besatzung 1,3 Mio Kugeln auf Palästinenser:innen ab.

Die Position Israels änderte sich im Laufe der Zeit. Am 3. Oktober 2000 erklärte der Einsatzleiter der Besatzungsarmee, Generalmajor Giora Eiland, dass eine interne Untersuchung ergeben habe, dass die Schüsse offenbar von israelischen Soldat:innen abgefeuert worden waren. General Yom-Tov Samia, der damalige Leiter des Südkommandos der Armee, bestätigte dies. Eiland entschuldigte sich: “Dies war ein schwerwiegender Vorfall, der uns allen leid tut.” Erst 2005 begann Israel, das Geständnis zu widerrufen. Jetzt weisen die israelischen Verantwortlichen jede Schuld am Tod Mohammads von sich. Sie gingen sogar soweit, trotz zahlreicher Augenzeugenberichte, den Vorfall als „inszeniert“ & „erlogen“ zu bezeichnen, behaupteten, die Bilder seien nicht echt & Israel Opfer einer Verschwörung. Es ist symptomatisch für den Umgang Israels, aber auch Deutschlands, mit den Verbrechen an Palästinenser:innen: Sie werden trotz erdrückender Beweise geleugnet — ebenso wie die palästinensische Identität.

Mohammad Al Durrah ist daher nicht nur ein Junge, welche im Kugelhagel einer mörderischen Besatzung starb, er ist auch ein Symbol für die anhaltende Demütigung & den Schmerz, den Palästinenser:innen tagtäglich erfahren. Die Erinnerung an ihn prägte die gesamte 2. Intifada — das Bild des sterbenden Jungen & seines verzweifelten Vaters, der ihn zu beschützen versuchte, brannte sich tief in das Gedächtnis der Bewegung & der Palästinenser:innen ein. Bis heute wurde niemand für den Tod Muhammads zur Rechenschaft gezogen.

Ein Gedicht

Mohammed,
schmiegt sich an die Brust seines Vaters, ein Vogel, der Angst hat
vor dem infernalischen Himmel: Vater beschütze mich
vor dem Aufwärtsflug! Mein Flügel ist
leicht für den Wind … und das Licht ist schwarz
Mohammed,
will nach Hause zurückkehren, ohne
Fahrrad … oder neues Hemd
sehnt sich nach der Schulbank …
das Notizbuch der Grammatik und Konjugation, nimm mich mit
zu uns nach Hause, Vater, um mich auf meinen Unterricht vorzubereiten
um weiter zu existieren, Stück für Stück …
am Meeresufer, unter den Palmen …
und nichts weiter, nichts weiter
Mohammed,
steht einer Armee gegenüber, ohne Stein oder Schrapnell
von Sternen, bemerkt die Wand nicht, um zu schreiben: meine Freiheit
wird nicht sterben, denn er hat noch keine Freiheit
zu verteidigen. Keine Perspektive für die Taube von Pablo
Picasso.
Wie viele Male wird er selbst ein Kind gebären
ohne Zuhause … ohne Zeit für die Kindheit?

Aus einem Gedicht von Mahmoud Darwish in Erinnerung an Muhammad Al Durrah

Mehr Informationen zur Zweiten Intifada findet ihr hier:

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