Jahresrückblick auf das Jahr 2020 unter israelischer Besatzung

Occupied News
7 min readJan 9, 2021

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Das Jahr 2020 war für Millionen von Palästinenser*innen durch weitergehende Vertreibung, Verhaftungen, Enteignungen, Militärgewalt, Beerdigungen & Hauszerstörungen geprägt.Die Menschen wehrten sich dagegen auf zahlreichen Demonstrationen, Flashmobs, Hungerstreiks & Aktionen der Solidarität. Die genauen Zahlen finden sich im Folgenden:

Eine junge Frau in Gaza drückt am letzten Tag des Dezember 2020 ihre Hoffnungen auf ein besseres Jahr aus. credit: Mahmoud Ajjour, APA images

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Getötet: 36 Palästinenser*innen wurden im Jahr 2020 von israelischen Soldat*innen & Siedlern getötet. 30 dieser Vorfälle ereigneten sich im Westjordanland & 6 im Gazastreifen. Unter den Getöteten sind 6 Kinder & 2 Behinderte. Eines der Opfer befand sich gerade auf dem Weg zur Hochzeit seiner Schwester & wollte die Braut abholen. Ein anderes Opfer ist eine junge Mutter, die gerade Milch für ihr Baby kochte, als Soldat*innen das Feuer im Wohnviertel eröffneten. Die Leichname von 18 getöteten Palästinensern hat die israelische Armee beschlagnahmt & bis heute nicht an die trauenden Familien übergeben, um sie zu bestatten — eine übliche Politik Israels, um die trauenden Familien zu zermürben.

Ein Schuss israelischer Soldaten in den Bauch des Jungen Ali Ayman Abu Elayah (unten links) tötete ihn am Nachmittag seines 15. Geburtstages. Statt einer Geburtstagsfeier gab es eine Trauerfeier (oben). Besetztes Westjordanland, 04.12.2020

Sie gehören somit zu den 254 getötete Palästinenser*innen, welche auf dem “Friedhof der Zahlen” der israelischen Behörden in anonymen, lediglich nummerierten Erdlöchern verscharrt sind. Seit teilweise 5 Jahren wird ihnen eine ordnungsgemäße Bestattung durch Familie & Angehörigen verweigert & den Trauernden ein Grab, an dem Abschied nehmen können.

Die israelische Organisation Btselem, welche Fälle von Militärgewalt dokumentiert, untersuchte stichprobenartig 16 Fälle des Jahres 2020, in denen Palästinenser im Westjordanland getötet wurden & kamen zu dem Schluss, dass mindestens 11 von ihnen ohne jede Begründung getötet wurden, da keiner von ihnen eine Bedrohung für das Leben von Angehörigen der Sicherheitskräfte oder anderen darstellte, sei es zum Zeitpunkt des Schießens auf sie oder allgemein.

Verletzte der Besatzung: Die UN-OCHA dokumentierte für das Jahr 2020 mindestens 2764 durch israelisches Militär verletzte Palästinenser*innen, darunter hunderte Kinder. 57 Israelis wurden verwundet, darunter 36 Angehörige des israelischen Militärs & Polizei sowie 15 Siedler.

Bilder aus dem Jahr 2020.

Verhaftungen: Tausende Palästinenser*innen wurden durch die Besatzung im Jahr 2020 verhaftet. Die pal. Menschenrechtsorganisation Al Haroun nennt 4.600 Verhaftungen, die isr. Organisation Btselem konnte 2.785 dokumentieren. Unter den Verhafteten befinden sich zahlreiche Studierende & Kinder, aber auch Journalisten, Rettungssanitäter & Kulturschaffende. 1.100 Palästinenser*innen, darunter 4 Kinder & 2 Abgeordnete, kamen im Jahr 2020 in Administrativhaft, was bedeutet, dass sie ohne Nennung von Haftgründen & ohne Anklage oder Gerichtsverfahren willkürlich inhaftiert wurden. Es gibt keine Offenlegung von Beweisen & nicht einmal die Anwälte können die Beweise & Verdächtigungen gegen ihre Mandant*innen einsehen. Diese Willkürhaft kann alle paar Monate auf unbestimmte Zeit erneuert werden (s. Infografik). 23 Häftlinge in Administrativhaft protestierten letztes Jahr gegen ihre Haft durch Hungertsreik. Dabei war der von Maher Al Ahkras am längsten. Nach 103 Tagen des Hungerns kam er am 26.11.2020 endlich frei. Es war seine 5. Administrativhaft. 380 Palästinenser*innen befinden sich noch immer in Administrativhaft. Insgesamt sitzen zum Jahreswechsel 4.400 Palästinenser*innen, darunter 170 Kinder & 40 Frauen in isr. Besatzungsgefängnissen.

Links: Eine Infografik zum Thema Hungerstreik (zum Vergrößern einfach anklicken). Maher Al Akhras beendete seinen Hungerstreik gegen Administraivhaft erfolgreich nach 103 Tagen. Seine jüngste Tochter Tuba gab ihm die ersten Löffel Suppe.

Systematische Vertreibung: Mindestens 848 palästinensische Häuser, Geschäfte, Infrastruktur & Corona-Testzentren wurden im Jahr 2020 durch die isr. Behörden im illegal besetzten Westjordanland abgerissen. Dadurch wurden 969 Personen obdachlos (Zählung der UN- OCHA), darunter 519 Minderjährige (Angabe Btselem).

Ein palästinensisches Mädchen kann im August 2020 ihre Tränen & Verzweiflung nicht zurückhalten, als sie mitansehen muss, wie die Besatzung nachts ihr Elternhaus abreißt. “Oh Gott, wo sollen wir nur wohnen!”
Links: Israelische Streitkräfte reißen am 29.12.2020 ein pal. Haus nahe Al Khalil (Hebron) ab. Anwohner*innen stellten sich den Besatzungstruppen entgegen, die gummiummantelte Stahlgeschosse, Blendgranaten & Tränengas auf Jugendliche abfeuerten, die sich versammelt hatten, um den Abriss zu verhindern. photo credit: Mosab Shawer/APA Bilder. Rechts: Israelische Aktivisten protestieren an einer Baustelle der Jerusalemer Stadtbahn & fordern die spanische Firma CAF auf, sich aus dem Projekt zurückzuziehen, das die israelische Kolonisierung des Westjordanlandes am 16.12.2020 festschreibt. 5 Demonstranten wurden verhaftet, nachdem sie die Baustelle der Stadtbahn blockiert hatten. photo credit: Keren Manor/ AktivStills
Diese beiden palästinensischen Kinder wurden Ende September 2020 obdachlos, nachdem sie mitansehen mussten, wie die Besatzung ihre Elternhäuser abriss. Die Familie des Mädchens in der Mitte übernachtete vorerst auf dem Fußboden des Rathauses ihrer Stadt.

Die israelischen Besatzungsbehörden beschlagnahmten im vergangenen Jahr etwa 8.830 Dunam Ackerland. 11.200 weitere Dunam palästinensischen Landes wurden konfisziert, um 3 Naturschutzgebiete im Westjordanland zu errichten — eine Enteignung unter vermeintlich grünem Deckmantel.

Siedler: Die Zahl der Angriffe isr. Siedler auf palästinensisches Eigentum belief sich im vergangenen Jahr auf mindestens 1090 Fälle. Dabei zerstörten sie u.a. über 3.000 Olivenbäume palästinensischer Farmer. Auch töteten sie mehrmals deren Vieh, leiteten dreckiges Abwasser aus illegalen Siedlungen über ihre Felder & beschädigten Fahrzeuge. Auch wurden pal. Kirchen & Moscheen beschmiert & angezündet. Palästinensische Bauern wurden häufig Opfer von körperlichen Angriffen & Hetzjagden isr. Siedler, dabei wurden zahlreiche Palästinenser*innen verletzt, manche sogar mit dem Auto angefahren.

Löscharbeiten: Palästinensische Farmer versuchen die Feuer in ihren Feldern zu löschen, die Siedler in der Absicht gelegt haben, sie wirtschaftlich zu ruinieren, zu zermürben & zu vertreiben. Die Bilder stammen aus dem besetzten Westjordanland, 17.10.2020
Pal. Farmer vertreiben erfolgreichen einen bewaffneten Siedler, welcher sie mit der Waffe bedroht, mit Steinen, besetztes Deir Jarir, 25.12.2020.

Pressefreiheit: Laut der palästinensischen Presseagentur WAFA kam es im Jahr 2020 zu 213 Angriffen der Besatzungstruppen gegen Journalist*innen in den besetzten palästinensischen Gebieten. Dabei kamen scharfe Munition, gummiüberzogene Metallgeschosse &Tränengasbomben zum Einsatz, ebenso wurden sie von Soldat*innen geschlagen & verhaftet & systematisch vor Gericht gestellt, um sie von ihrer journalistischen Arbeit abzuhalten. Die Zahl der Journalist*innen, die von Soldat*innen verletzt wurden, liegt bei 83, während die Zahl der Festnahmen und/oder Inhaftierungen bei 119 liegt. Die Anzahl der Fälle von Angriffen auf Geräte & Presseeinrichtungen beträgt 11.

Besatzungswillkür: Laut Btselem haben die israelischen Besatzungstruppen im Jahr 2020 “mindestens einmal” 3.000 palästinensische Dörfer & Städte überfallen & nicht weniger als 2.480 pal. Familienhäuser gestürmt.

Schwer bewaffenete israelische Soldaten stürmen das pal. Flüchtlingslager Qaudurah im besetzten Westjordanland am 13.11.2020. Sie werden von Palästinenser*innen mit Steinen & Feuerwerkskörpern verjagt.
Bei allnächtlichen “Razzien” werden Familienhäuser von Soldat*innen gestürmt & Palästinenser*innen willkürlich verhaftet & verschleppt. Das Video stammt vom Dezember 2020.

Im Jahr 2020 hat die Besatzung im Westjordanland nicht weniger als 3.524 temporäre Kontrollpunkte zusätzlich zu den 705 permanenten Militärcheckpoints eingerichtet.”

Militärische Checkpoints im besetzten Westjordanland, die massiv die Bewegungsfreiheit der Palästinenser*innen auf ihrem eigenen Land einschränken. Herbst 2020.

Gaza: Am Donnerstag verkündete die israelische Armee, im Jahr 2020 etwa 300 Ziele im Gazastreifen angegriffen zu haben. Laut ihrer Erklärung wurden “176 Raketen & Mörser aus dem Gazastreifen abgefeuert, 90% davon landeten in menschenleeren Gegenden, während das israelische Iron-Dome-System 80 Granaten & Raketen abfing, die auf zivile Gebiete zielten.”
Die israelische Armee bombardierte & beschoss auch im Jahr 2020 wieder den Gazastreifen. Insgesamt 1201 Mal fielen Bomben & Schüsse auf Gaza. Davon betroffen waren u.a. Wohnhäuser, Schulen & Krankenhäuser sowie ein Zentrum für Behindertenhilfe. Fast täglich — insgesamt 309 Mal! — schoss die israelische Marine auf Gazas Fischer. Auch Hirten & Farmer wurden durch isr. Armee nahezu wöchentlich bei ihrer Arbeit beschossen. 55 Mal fielen Soldat*innen & Militärfahrzeuge im Gazastreifen ein. Allein im August wurde der Gazastreifen 2 Wochen lang jede Nacht heftig bombardiert. Laut israelischer Armee führten israelische Kampfflugzeuge im Jahr 2020 etwa 1.400 Einsätze in Gaza durch, ihre Spionagedrohnen verzeichneten 35.000 Flugstunden. Zeitweise standen weder Treibstoff noch Strom durch eine zusätzliche verschärfte Totalblockade seitens Israels zur Verfügung. Die illegale Blockade des Gazastreifens besteht nun seit 14 Jahren.

Am Morgen des 13.08.2020 wurde kurz vor Beginn des Schulunterrichts ein Blindgänger in einer Grundschule in Gaza entdeckt & entschärft. Die israelische Bombe enthielt 1500 Metallsplitter, von denen jeder tödlich sein kann. Wäre die Bombe wenige Stunden später von Schüler*innen entdeckt worden, hätte dies ein Massaker anrichten können.
Nach 12 Tagen israelischen Dauerbombardement des Gazastreifens schlug in der Nacht zum 14.08. eine israelische Bombe in ein pal. Familienhaus ein und durchschlug die Wände zu drei Zimmern. Glücklicherweise explodierte sie jedoch nicht, die Familie kam mit einem gewaltigen Schrecken davon.
“So ist das Leben und so muss man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd — trotz alledem.” Trotz allen Leids in Gaza gab es auch schöne Momente. Vor allem den Kindern versuchten die Menschen Gazas unbeschwerte Momente zu ermöglichen. So auch am 24.12.2020. photo credit: Mohammed Zaanoun/ ActiveStills

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