Pogrom: Siedler brennen Dörfer nieder — Montag, 27.02.2023

Occupied News
6 min readFeb 27, 2023

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EDIT: Stand 19:00Uhr

Die aktuellen Zahlen zum gestrigen Pogrom israelischer Siedler:
- Mind. 390 Verletzte Palästinenser:innen
- 1 erschossener Palästinenser
- 35 komplett niedergebrannte Häuser & Geschäfte
- 40 teilweise beschädigte Gebäude
- mehr als 100 ausgebrannte Fahrzeuge
- 0 Verhaftungen (6 Siedler wurden kurzzeitig festgenommen, aber anschließend wieder gehen gelassen)

Stand 09:30Uhr

Ein Palästinenser soll gestern im besetzten Westjordanland zwei Siedler in ihrem Auto erschossen haben. Im Anschluss zog ein Mob Siedler mit Eisenstangen & Schusswaffen nach Hawara & in umliegende Dörfer, wo sie dutzende Häuser & Autos von Palästinenser:innen abfackelten, einen Palästinenser erschossen & 100 weitere verletzten.

Hawara, besetztes Westjordanland, 26.02.2023

Der Angriff auf die beiden Siedler, Hillel & Yagel Yaniv, Brüder um die 20, die in einer etwa 8 km entfernten völkerrechtswidrigen Siedlung lebten, ereignete sich am Sonntag auf der Hauptstraße in Hawara, südlich von Nablus. Israelische Medien & Politiker:innen sprechen von einem palästinensischen Anschlag, bisher hat sich jedoch keine palästinensische Widerstandsgruppe zu diesem bekannt.

Später am Abend zogen zahlreiche Siedler in die nahegelegenen Dörfer nach Hawara, Burin, Odala & Asira Al Qabaliyya & steckten zahlreiche palästinensische Häuser in Brand. Mindestens 30 Geschäfte & Wohnhäuser sowie eine Scheune wurden Opfer ihrer Angriffe, darüber hinaus wurden 19 Fahrzeuge niedergebrannt & Felder angezündet. Insgesamt 300 Angriffe gegen Palästinenser:innen wurden verzeichnet, wobei die Siedler Steine, Eisenstangen & Schusswaffen einsetzten. Die Einwohner:innen beschuldigen die israelischen Besatzungsarmee, den Siedlern freien Zugang zu den Ortschaften gewährt zu haben.

Hawara, 26.02.2023

“Ich sehe Flammen vor mir”, sagte der Augenzeuge Abdullah Al Huwari (36). “Wohin ich meinen Blick auch richte, ich sehe die Flammen eines brennenden Hauses”. Neun palästinensische Familien mussten aus ihren brennenden Häusern gerettet werden, berichtet der israelische Nachrichtensender Channel 12.

Ein Bewohner, Ziyad Dmaidi, erzählte Middle East Eye, dass er auf dem Rückweg von der Arbeit war, als er eine Gruppe von Siedlern auf sein Haus zukommen sah. Mit einem Gefühl der Panik eilte er ins Haus, um seine Familie zu holen. Innerhalb weniger Minuten begannen “Dutzende von Siedlern”, Fenster einzuschlagen & in das Haus einzudringen. Die Familie konnte gerade noch entkommen, als brennende Gummireifen ins Haus geworfen wurden. Sein Haus wurde völlig zerstört. “Ich habe nie an das Haus oder unsere Sachen gedacht, sondern nur an meine Kinder und daran, wie ich sie aus diesem Alptraum retten kann”, so Dmaidi.

“Wir konnten das Haus verlassen und uns in Sicherheit bringen, mit Hilfe der Rettungsmannschaften, die ebenfalls angegriffen wurden, als sie versuchten, uns zu evakuieren. Unser Leben ist in Gefahr & all dies geschieht, während die israelischen Soldat:innen nur darauf warten, die Siedler zu schützen”, fuhr er fort. Mindestens ein palästinensisches Feuerwehrauto, das versuchte, auf die Brände zu reagieren, wurde angegriffen & seine Scheiben eingeschlagen. Auch mehrere Krankenwagen wurden beschädigt.

Die Einwohnerin Fida Hamad berichtete: “Wir saßen in unseren Häusern, als wir plötzlich Explosionen & panische Schreie hörten. Wir erfuhren, dass die Siedler die Stadt angegriffen hatten [...] Meine Kinder fingen an zu weinen & ich versuchte, sie zu beruhigen, aber die Geräusche des Angriffs waren lauter als alles andere: Flüche auf Hebräisch, eingeschlagene Fenster, brennende Fahrzeuge, Häuser & Geschäfte … Es war sehr schrecklich.”

Der Palästinenser Sameh Aqtash (37) wurde während des Pogroms von Siedlern erschossen — sie trafen ihn merhfach in seinem Bauch. Aqtash war erst vor wenigen Tagen aus der Türkei zurückgekehrt, wo er als freiwilliger Helfer an der Bergung von Erdbebenopfern beteiligt gewesen war. Etwa 100 weitere Palästinenser:innen wurden durch die Angriffe von Siedlern in Hawara & Umgebung verletzt. Weitere erlitten Rauchgasvergiftungen.

Sameh Aqtash (37) war als Erdbebenhelfer in der Türkei aktiv & wurde gestern Abend von Siedlern erschossen.

Die Zahl der in diesem Jahr durch israelische Besatzungskräfte, einschließlich Siedler, getöteten Palästinenser:innen im Westjordanland (inkl. Jerusalem) & dem Gazastreifen ist somit auf 67 gestiegen, darunter 14 Kinder & 1 Frau. Das sind im Durchschnitt 1,2 Tote pro Tag im Jahr 2023. Damit waren die ersten beiden Monate des Jahres 2023 die tödlichsten für Palästinenser:innen im Westjordanland & Jerusalem seit 23 Jahren.

Ein israelischer Ministerausschuss hat nun außerdem einen Vorschlag gebilligt, der die Todesstrafe für Palästinenser:innen vorsieht, die an tödlichen Anschlägen beteiligt sind. Die Maßnahme wurde den Gesetzgebern zur weiteren Beratung zugeleitet.

“An einem schwierigen Tag, an dem zwei Israelis bei einem palästinensischen Terroranschlag ermordet wurden, gibt es nichts Symbolischeres als die Verabschiedung eines Gesetzes zur Verhängung der Todesstrafe gegen Terroristen”, sagte Itamar Ben-Gvir, Israels Minister für Nationale Sicherheit, Rechtsextremist & Siedler, der in der Vergangenheit selber Palästinenser:innen mit der Waffe bedroht hat.

Dunkle Rauschschwaden waren gestern Abend in Nablus aus Richtung Hawara & umliegenden Dörfern zu sehen. Besetztes Westjordanland, 26.02.2023

Finanzminister Bezalel Smotrich, ein weiterer Führer der Siedlerbewegung, rief dazu auf, “die Städte des Terrors & seine Anstifter ohne Gnade mit Panzern & Hubschraubern zu schlagen, so dass deutlich wird, dass der Herr des Hauses verrückt geworden ist”.

Bezalel Smotrich (links) & Itamar Ben-Gvir (rechts)

Mustafa Barghouti, der Generalsekretär der Palästinensischen Nationalen Initiative, sagte, die Präsenz von Siedler:innen in der israelischen Regierung habe die Situation für die Palästinenser:innen noch schwieriger gemacht.

“Ich kann es nur so beschreiben, dass es sich um das Verhalten faschistischer Banden handelt, die israelische Siedler:innen sind & von der israelischen Armee geschützt & unterstützt werden”, sagte Barghouti gegenüber Al Jazeera aus Ramallah. “Das Schicksal des palästinensischen Volkes liegt in den Händen der illegalen Siedler:innen. Sie greifen links & rechts Menschen an & erschießen sie & die israelische Armee tut nichts, um sie zu stoppen.”

Hawara, besetztes Westjordanland, 26.02.2023

Die jüngsten Vorfälle ereigneten sich inmitten von Gesprächen zwischen Palästinenser:innen & Israel in Jordanien, bei denen die zunehmende Gewalt in den besetzten Gebieten erörtert werden sollte & wenige Tage nach der tödlichsten Invasion der israelischen Armee im besetzten Westjordanland seit fast 20 Jahren, bei der 11 Palästinenser in der Stadt Nablus von Soldat:innen getötet wurden, darunter 3 Großväter & ein Kind.

Der Morgen nach dem Pogrom. Hawara, besetztes Westjordanland, 27.02.2023

Politische Reaktionen

In einem inzwischen gelöschten Tweet forderte David Ben Zion, der stellvertretende Vorsitzende des Samaria-Rates, der die illegalen Siedlungen im nördlichen Westjordanland verwaltet, die israelischen Politiker auf, keine Gnade walten zu lassen und das “Dorf Huwwara noch heute auszuradieren”. Israels Finanzminister Bezalel Smotrich likte den Tweet.

Gelöschter Tweet David Ben Zions.

Limor Son Har-Melech von der Partei “Jewish Power”, der Partei des rechtsextremen Ministers für Nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir, die Teil der Regierungskoalition ist, bezeichnete die Unruhen hingegen als “den gerechten Schrei Hunderter Bewohner Samarias, die auf die Straße gegangen sind, um zu protestieren & Sicherheit zu fordern”. Ein weitere Politiker derselben Partei, Zvika Fogel, feierte die Ausschreitungen letzte Nacht & verkündete “Huwwara ist stillgelegt & verbrannt. Das ist es, was ich sehen will. Nur so können wir eine Abschreckung erreichen”.

Auch Abgeordnete der Likud-Partei von Premierminister Benjamin Nentanyahu sympathisierten mit den Siedlern & forderten den Staat auf, “mit eiserner Faust zu handeln”.

Der Morgen nach dem Pogrom. Hawara, besetztes Westjordanland, 27.02.2023 (AFP/Ronaldo Schemidt)
Der Morgen nach dem Pogrom. Hawara, besetztes Westjordanland, 27.02.2023 (MEE/Hisham Abu Shaqrah)

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